Samstag, 29. Januar 2011

"The sound of India...

...is the sound of sweeping.", sagte Michael bei einem unserer 5:30 - Tees im Dorf, als wir auf unserem Mauervorsprung sassen und dem schwisch-schwisch der Reisigbesen zuhoerten, und ich nahm mir vor, das zum Betreff meines naechsten Postings zu machen. Das Geraeusch des Fegens ist das subtilste Geraeusch, zu dem man am Morgen aufwachen kann. Es wird nur leider meistens von lauter Musik und Verkehrslaerm ueberdeckt.

Heute morgen trafen wir beim Tee Pannir, einen indischen Freund Michaels, ein junger Bauer, der sich ehrenamtlich fuer die Ausbildung von jungen Maennern im Dorf einsetzt. Grade hat er sieben von ihnen geholfen, einen Platz in einem Programm fuer Staatsangestellte zu bekommen und hat ausserdem in Thanirpalli eine Bibliothek eingerichtet. Ausserdem trainiert er einen tamilischen Kampfsport, irgendwas mit Stoecken. Michael und er wollen heute abend nach Trichy zu einer Agricultural Show fahren.

Habe mich im Ashram verabschiedet. Kumpelhaendedruck von Brother George, bei dem man einander um den Daumen fasst. Soul Brother. David und Michael winken zum Abschied. David, auch er ein Englaender, war der Mann fuer den 17:00 - Tee im Dorf, der Mann fuer die kleinen Gespraeche ueber Schnuersenkel, ueber indische Geschichte und das Buch mit dem Titel "The Inner Eye of Love", mit dem er immer herumsass ("It's a marvellous book, everybody should read it"), ueber Krishnamurti, in dessen Buch "Total Freedom" ich gewoehnlich las, ueber Schokolade und Elizabeth Taylor. Gestern erzaehlte er, dass er den Beschluss gefasst hat, seine Wohnung in London zu verkaufen und sich statt dessen ein Haeuschen auf dem Land zu kaufen. "I might as well travel till I drop", sagt er, und schenkt mir ein glattrasiertes Laecheln zum Abschied, da er sich gestern in Kulithalai seinen Vollbart hat abrasieren lassen. "I feel sorry that you leave", sagt er, und Michael erkundigt sich nach dem "Head Stuff" und sagt, meine neue Brille, die ich in Trichy aholen wolle, wuerde mir vielleicht eine ganz frische Perspektive auf meine bevorstehenden Entscheidungen geben. Vertrau auf die unterirdischen Prozesse sagt er, die waehrend deiner Reise in dir stattgefunden haben, dann lacht er und sagt, es ist ja so leicht, anderen Leuten weise Sentenzen mit auf den Weg zu geben.

Der Rikschafahrer Jeeva hilft mir, im Bus einen Platz zu bekommen, indem er eine meiner Umhaengetaschen durch das Fenster auf einen Sitz wirft. Ich sitze ganz vorne, die Strasse ist holprig, Ziegen, Kuehe, Motorraeder, Fahrraeder. Ein umgekippter Bus liegt am Strassenrand. Gestern habe ich erfahren, dass eine der zwei kleinen Katzen mit den grossen Ohren, die ich auf meinem Weg ins Dorf immer vor einem Haus sitzen sah, ueberfahren worden ist.

Die Kombination von Hitze und Erkaeltung ist nicht gerade optimal. Habe einen hartnaeckigen Husten und bin ausserdem grade dabei, meine Stimme zu verlieren. Esse viermal am Tag ayurvedische Hustenmedizin, die jedenfalls den Husten ein wenig lindert. Die heisse Luft Chennais, sagt Michael, wird dir vielleicht gut tun. Heiss? Ist es hier nicht heiss genug? Gestern abend wartete ich vergeblich auf Abkuehlung, lief nach dem Abendessen ueber das Gelaende des Ashrams und die Strasse davor auf und ab wie ein wildes Tier in seinem Kaefig. Ja schon, aber anders heiss.

Die Brillenabholung war uebrigens dabei, eine typische Indiengeschichte zu werden. Hatte mich schon gewappnet, dass bestimmt wieder irgendwas schiefgegangen war, als sie bei JEHS OPTICALS im St. Joseph's Eye Hospital dann aber anfingen, zu zweit panisch im Brillenkasten zu wuehlen und ein Telefongespraech nach dem anderen zu fuehren, fuehlte ich mich doch etwas enttaeuscht. "Ten minutes", sagte der Optiker zu mir, und eine der Angestellen lachte, und ich dachte, jaja, haha, zehn Minuten, haha, eine Stunde, sorry madam, tomorrow... Doch nach zehn Minuten kam tatsaechlich jemand mit meiner fertigen Brille in der Hand herein, ich setzte sie auf, sieh da, alles stimmte, und der Optiker winkte mir stolz zu, als ich mit Brille und Gepaeck den Laden wieder verliess.

Ich wuerde gern so viel mehr schreiben, aber jedesmal, wenn ich in einem Internet Point sitze, bin ich froh, wenn ich bald wieder raus kann. Dass hier auf einem Miniatur-Altar gerade Rauecherstaebchen abgebrannt werden und die heisse Luft im Raum steht, da keiner der Ventilatoren eingeschaltet ist, ist nicht gerade von Vorteil fuer meine Atemwege, und ich sehne mich nach einem schattigen, etwas luftigen Ort, die Frage ist nur, ob es so was in der Naehe gibt.

In zwei Stunden geht mein Zug nach Chennai. Die Zugfahrt dauert sieben Stunden. Dort treffe ich P, mit der ich dann morgen nacht zurueck nach Kopenhagen fliege.

Mal sehen, ob ich noch mal die Moeglichkeit habe, zu bloggen. Euch ein schoenes Wochenende, alles, alles Liebe!

Donnerstag, 27. Januar 2011

Zeit verschwindet

Die Zeit verschwindet irgendwie. Die Tage fliessen ineinander.

Wann habe ich was getan? Habe ich ueberhaupt was getan?

Sitze in einem Browsing Center in Kulithalai. Es ist fuerchterlich heiss heute, aber jetzt, zehn vor sechs Uhr abends, ist die Waerme ertraeglich, in etwas mehr als einer Stunde geht die Sonne unter, und dann nehme ich eine Riksha zurueck zum Ashram.

Die schoenste Schuluniform, die mir in Indien begegnet ist, gibt es hier in Kulithalai, an einer reinen Jungsschule. Sie besteht aus rosafarbenen Hosen und rosa-weiss-karierten Hemden. Es begegneten mir heute ein paar Jungs in dieser Kleidung, und ich fragte, ob ich ein Foto von ihnen machen duerfte. Grosses Hallo und Gekichere und "Super!"-Rufe, und bald kamen noch mehr rosa Juenglinge angelaufen, und die ganze Gruppe begleitete mich dann ein Stueck des Wegs, mit den ueblichen Fragen, "How are you?", "Where are you from?", "What's your name?".



In der Frueh um halbsechs, noch im Dunkeln, zum Tea Stall, das ist das neue Tagesritual. Das Dorf ist schon wach, der Tea Stall voller Menschen, der Milchmann faehrt mit seinem Fahrrad durch die Strassen, eine Frau macht wie jeden Tag vor ihrem Haus ein Feuer an, vor dem winzigen Ganesha-Tempel stehen Leute und zuenden Butterlampen an.


Danach an den Fluss Kavery, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Ein Mann und eine Frau kommen noch in der Daemmerung mit ihrem kleinen Boot an, das ungefaehr die Form einer Kontaktlinse hat und genau zwei Menschen und ein paar Buendel fasst. Sie haben eine ganze Tuete Fische gefangen und muessen eine Weile an ihrem Moped herummachen, weil es nicht anspringt. Das Musikhandy auf voller Lautstaerke, inmitten dieser Morgenidylle.


Vom anderen Flussufer, einem Ort, der mindestens zwei Kilometer entfernt liegt, kommt laute Morgenmusik, schon von halbfuenf Uhr morgens an.

Fragte Michael heute, als wir nach dem Fruehstueck mit Fahrraedern uebers Land radelten, ob er eine Antwort darauf geben koenne, warum er seit 21 Jahren fuer mehrere Monate hierher kommt. Eigentlich nein, sagte er, aber dann gab er doch eine lange Antwort. There is a god-created hole in me, sagte er, und erklaerte dann, warum er sich hier mit dieser Luecke, dieser Leerstelle, dieser Sehnsucht aufgehoben fuehlt. Er redete auch von seiner Liebe zu diesem Land, Tamil Nadu, das noch von allen indischen Laendern am urspruenglichsten ist. Kann sein, dass ich ein Romantiker mit einer rosafarbene Brille bin, sagt er, aber es gibt hier eine Aufmerksamkeit, eine Freundlichkeit, die mir nirgendwo anders begegnet ist.

Kam an einem Kremationsplatz vorbei, wo kuerzlich ein Koerper verbrannt worden war. Man sah noch die Reste des Feuers, Asche, verstreute Blumen. Nicht weit davon sassen ein paar junge Maenner und spielten Karten. Ein paar hundert Meter weiter ueberholte ich den Leichenkarren, der von ein paar Maennern gezogen wurde.

Michael erzaehlte in der Frueh am Fluss, dass er die Asche seines Vaters hier verstreut hat. Einmal hatte sein Vater ihn hierher begleitet, sich in den Platz verliebt, und dann den Wunsch geaeussert, dass nach seinem Tod seine Asche hier verstreut wird.

Ob das erlaubt ist, frage ich. Man geht natuerlich nicht zum Check-In und sagt, ich habe hier die Asche meines Vaters im Gepaeck, sagt Michael.

In der Tea Time im Ashram rede ich mit W, einem melancholischen Deutschen, der sich gar nicht besonders wohlfuehlt. Es fehlt ihm eine Struktur, deutliche Meditationszeiten, ausserdem kann er nicht besonders gut Englisch. Eigentlich haette ich besser in ein deutsches Haus fahren sollen, sagt er. Ich frage ein wenig und finde heraus, dass er noch kein einziges Mal im Dorf war und auch sonst wenig unternommen hat. Ich sehe ihn immer mit seinen Shorts und seinen weissen duennen Beinen herumlaufen, er sieht verloren und fragend aus.

Die Zeit ist um, ich geh jetzt mal. Noch drei Naechte und drei Tage Indien.







Mittwoch, 26. Januar 2011

Truth is a pathless land

In der Ashram-Kueche (eigentlich "Betreten verboten!", aber ich wurde vom Gatekeeper hineingewunken, dami ich meine Wasserflasche fuellen konnte), haengt eine kleine Schiefertafel, auf der in Kreide die Zahl der Esser geschrieben steht, "Guests, Inmates, Old Home, Helpers, Workers". Ganz oben steht "God - 1".

Brother Martin: Sein Ziel ist es, Gott von den Religionen zu befreien, sagt er in einem seiner 16 Uhr-Vortraege.

Im Tea Stall im Dorf: Die Kunst des Teekochens. Eine Kaffeedose mit angeschweisstem Henkel in der einen Hand. Ein Metallbecher in der anderen. Um den Tee mit Milch, Zucker und Luft zu mischen, ruehrt man nicht um, sondern laesst ihn in einem Strahl von dem einen Behaelter in den anderen schiessen. Die richtigen Kuenstler oeffnen die Arme weit, so dass der Abstand zwischen ihnen sicher einen Meter fuenfzig betraegt, und vergiessen keinen Tropfen. Am Ende ist der milchige Tee schaumig wie Cappuccino, zum Abschluss kommt noch ein kleiner Schuss schwarzer Tee hinein, so dass der erste Schluck der staerkste ist.

Der Teeverkaeufer hackt Zwiebeln auf einem kleinen viereckigen Metalltablett, nimmt eine kleine Zwiebel nach der anderen, hackt sie mit schnellen Bewegungen, ohne abzusetzen.

Auch das alte Kassettendeck hinter ihm im Regal ist mit Heiligkeitsflecken verziert. Schulkinder in Schuluniformen (kariertes Hemd, rote Hose oder Rock) kommen mit riesigen Schulranzen vorbei.

Alte Maenner sitzen hier und lesen Zeitung, aber jetzt haben sie aufgehoert zu lesen, schauen mir beim Schreiben zu, und jedes Mal, wenn ich hochblicke, wackeln sie mit dem Kopf und laecheln freundlich.

Teilte mir am Morgen den Meditationsraum mit drei Yoga praktizierenden Amerikanerinnen.

Alison, die Australierin, ist zum ersten Mal in Indien, erst seit ein paar Tagen hier, und voellig aufgeloest, den Traenen nahe.

Die amerikanische Gruppe hatte gestern einen Schweigetag, lief mit kleinen Zetteln herum, auf denen stand: "I keep silence". Sass nach dem Fruehstueck neben diesen Schweigern vor meinem Schneidebrett und hackte einen Berg Zwiebeln und Weisskohl. Michael kam vorbei, nahm einen runden Metallteller aus dem Gestell, wo das Geschirr zum Trocknen aufgestellt wird und hielt ihn hinter meinen Kopf: Heiligenschein!

Der kleine Sohn des Teeverkaeufers laeuft mit silbernen Kettchen um die Fussgelenke herum. Fusskettchen, wie die Taenzerinnen sie tragen, mit kleinen Gloeckchen. Stolz hebt der Teeverkaeufer ihn hoch. My son, sagt er und laechelt ein strahlendes Laecheln. Spaeter kommt auch seine Tochter, die schon eine Schuluniform traegt. My daughter sagt er, und wieder das schoene Laecheln.

Lese Krishnamurti: "I maintain that truth is a pathless land and you cannot approach it by any path whatsoever, by any religion, by any sect."

Montag, 24. Januar 2011

Zugfahrt und Augenklinik

In der Frueh hatte ich die Meditationshalle fuer mich allein. Die Amerikaner machten einen Ausflug zu einem anderen Ashram, um dort zu chanten.
Um acht Uhr wollte ich den Zug nach Tiruchirapally nehmen, um mir im St.John's Eye Hospital meine Augen untersuchen zu lassen.

Michael begleitete mich zum Bahnhof, schob sein Fahrrad neben mir her.

Did you get a new bed, fragte er mich gestern.
Yes, a really big one.
So maybe now you can have two heads instead?

Das head-thing ist zu einem running joke zwischen uns geworden.

Es ist gerade hell geworden, als wir losgehen. Die Strassen sind rein gefegt. Maenner stehen im Fluss und waschen sich.

Seit er siebzehn ist, kommt Michael nach Indien (er ist jetzt 64, die Inder nennen ihn "Tata", Grossvater, though I'm still a child at heart, sagt er), und seit 21 Jahren in den Ashram. Er bleibt immer mehere Monate hier, weiss deshalb eine Menge.

Z.B.: Zwischen dem 15. Dezember und 15. Januar ist der sogenannte "dunkle" Monat (die Sonne ist am weitesten entfernt, es ist am kaeltesten). Um die boesen Geister wegzuhalten, muss deshalb in den Doerfern bei Sonnenaufgang unbegreiflich laute Musik ueber riesige Lautsprecher gespielt werden, und die Menschen stellen Lampen neben ihre Hauseingaenge. Die Sonne geht jedoch das ganze Jahr ueber zur gleichen Zeit auf und unter.

An einem peinlich sauberen und frisch geschmueckten Tea Stall machen wir Pause, trinken Tee. Der kleine Baum vor uns ist heilig, mit Farbflecken verziert, und eine Butterlampe brennt an seinem Fuss.

Ich sage zu ihm, mir gefallen die einfachen weissen Alltags-Kolams (die Zeichnungen, die die Frauen jeden Morgen vor der Tuerschwelle machen) eigentlich besser als die protzigen bunten Feiertagskolams. Er stimmt mir zu, ja, ja, sie sind tatsaechlich schoener!

Das ist Indien, sagt Michael, und meint das Dorfleben an einem Morgen wie diesen. Den Taj Mahal muss man nicht unbedingt sehen, nunja.

Einige Zahlen:
65% der Inder leben auf dem Land, was einen umwirft, wenn man die Moloche von Staedten gesehen hat.
70% der Inder sind unter vierzig. In England ist das Verhaeltnis umgekehrt, sagt er.
105 Buchstaben hat Tamil, sagt Michael, wenn man alle Variationen mit dazu rechnet.

Enjoy the journey. Hope your head will take a break, sagt er, bevor er sich auf sein Fahrrad schwingt und zurueck zum Ashram faehrt.

Der Zug ist brechend voll von indischen College-Schuelern auf der Weg zur Schule. Einige machen ihre Hausaufgaben, andere lesen, versuchen noch Restwissen in sich hineinzustopfen, aber die meisten konkurrieren mit ihren auf Hoechtslautstaerke eingestellten Musikhandys (die Gespraechslautstaerke ist ebenfalls beachtlich).

Die Jungs mit akkuratem Messerschnitt, viel zu engen Stoffhosen und kurzen angeschlitzten Hemden, die ueber den Hosenbund haengen. Die Maedchen ausnahmslos langhaarig, mit traditionellen indischen Kleidern, einige mit Blumenschmuck im Haar.

Junge Maenner sitzen eng umschlungen da, liebkosen einander die Haende, setzen sich einander auf den Schoss, den Kopf an die Schulter des anderen gelehnt.

Am Bahnhof fruehstuecke ich in einem kleinen Restaurant, dann nehme ich eine Riksha zum St. Joseph's Eye Hospital, das vom TUEV SUED irgendeine ISO-Auszeichnung fuer Management und so weiter bekommen hat. Und ich fuehle mich auch wie in einer gut geoelten Maschinerie, wie ich von Untersuchungszimmer zu Untersuchungszimmer gefuehrt werde, mindestens vier verschiedene Aerzte treffe, Augentropfen verpasst bekomme, die mich alles verschwommen sehen lassen.

Jeder Arzt blickt mir tief in die Augen und fragt: What's your problem?
No problem, no problem, sage ich (luege ich), in meinem inzwischen fliessenden Indisch-Englisch, da ich weiss, dass sie an der Antwort eigentlich nicht interessiert sind.

Ende der Untersuchung: Ich brauche eine halbe Dioptrin weniger, und "according to age", ein bisschen mehr Lesestaerke. Taumle in die Mittagshitze, fluechte in ein dunkles Restaurant und dann in diesen Internetpoint.

Ciao, Ihr Lieben, jetzt gehts zurueck in den Ashram, aber mit dem Bus!

It is not meaningless that you are here

23.1.11, 111.Geburtstag meines Grossvaters Christel

Um 5:30 gehe ich in die Meditationshalle, aber der Raum ist voll mit Asanas uebenden Amerikanern. Setze mich also in die dunkle Kirche (man sitzt auf dem Boden), bleibe dann auch waehrend der Sonntagsmesse da, die um 6:30 beginnt.

Ein paar denkenswerte Worte ueber Stille, "silence". Es gibt in Indien (auf Sanskrit?) zwei Woerter dafuer, Inner Silence und Outer Silence. Outer Silence bedeutet einfach Abwesenheit von Geraeuschen, nicht sprechen. Inner Silence ist eine Stille jenseits der Worte, etwas, das vor allem anderen da war, "uncreated". Will man sich Wissen aneignen, muss man lesen, lernen, sprechen. Will man alles wissen, ist die Bedingung dafuer Stille, und zwar "Inner Silence". (So Brother John in seiner Sonntagspredigt.)

Das Bett, das ich gestern bekam, war viel zu kurz, ich passte nur schraeg hinein.

Eine Loesung, so Michael, der Englaender, nach dem Fruehstueck, als wir nebeneinander unsere Teller abspuelten, waere, ein Stueck von mir abzuschneiden, und deutete dabei auf meine Fuesse.

Ja, sagte ich, aber den Kopf bitte. Der bereitet mir momentan nur Probleme.

Michael stutzte, nur eine halbe Sekunde lang, dann sagte er, get rid of the head, keep the heart, that's it?!

Spaeter begegneten wir uns wieder. Oh, sagte er, your head's still on!? Ja, sagte ich, jemand war der Meinung dass es besser ist, wenn ich in ein anderes Zimmer ziehe.

Ging am Vormittag am Fluss entlang nach Kulitthalai. Kaufte Stoff, Schals, Plastikkannen, eine Waschseife, trank Tee. Auf einer Muellhalde standen ein paar Kuehe und gruben in den rauchenden Muellhaufen nach was Essbarem.

Eine Ziege lief am Strassenrand mit einer durchsichtigen Plastiktuete ueber dem Kopf herum. Anscheinend hatte sie ihn zu tief hinein gesteckt, um was Leckeres zu fressen, und begriff jetzt nicht, warum sie die Welt verschwommen sah und nicht mehr fressen konnte. Ich versuchte, ihr die Plastiktuete herunterziehen, aber das war nicht ganz enifach, weil sie andauernd weglief. Packte sie schliesslich am Hals und zog schnell die Tuete herunter. Sie meckerte, ob aus Dankbarkeit oder Protest, war schwer zu sagen.

Im Fluss standen Frauen, wuschen sich, wuschen Kleider, winkten und riefen.

Ein glatzkoepfiger Mann hielt mit seinem Motorroller neben mir an und schenkte mir ein Laecheln, das eine grosse Zahnluecker freilegte. You need help?, fragte er mich. Er nahm mich auf dem Ruecksitz seines Motorrollers mit bis zur Abzweigung, die zum Ashram fuehrt, und nachdem er mich erneut angestrahlt hatte, wendete er und fuhr davon.

Brother Martin fragte mich was der Anhaenger um meinen Hals bedeutet. Es ist ein tibetisches Symbol, sagte ich, for protection of the throat chakra.
To turn it on, or to turn it off, fragte er.
To turn it off, I guess sagte ich. Talk less.
Er ging lachend davon.

Der indische Kuckuck ruft.

It is not meaningless that you are here, sagte Brother John heute. Er sagte es zu allen, aber es war der Satz, den ich gerade in diesem Moment dringend brauchte.

Eindruecke von der Busreise

22.1.11

Die halb abgerissenen Wohnhaeuser am Strassenrand, wo die Strassen verbreitert wurden. Die Bewohner wohnen in der heilen Haelfte, zur Strasse hin klafft eine Wunde.

Meine Kokosnussfrau oeffnet mir eine zweite Kokosnuss, als ich die erste leergetrunken habe. Geschenk. Als wuesste sie, dass ich heute abreise.

Kinder, junge Maenner, alte Maenner mit Chips - Samosas - Palmherzen - gekochten Kichererbsen im Plastikpaeckchen - kleinen Wasserbeuteln, die sie auf Metalltellern durch die Busse tragen, sobald dieser sich einem Busbahnhof naehert.

Im Bus: Maenner sitzen neben Maennern, Ladies neben Ladies. Solange ein Platz neben einer Frau frei ist, setzt eine allein reisende Frau sich nicht neben einen Mann (und umgekehrt).

Pissende Maenner am Strassenrand, mindestens hundert sehe ich im Lauf dieser fuenfstuendigen Busreise.

Als ich kurz im vorderen Teil des Busses bin, um den Schaffner was zu fragen, kann ich ueberhaupt nicht verstehen, dass der Busfahrer von der Lautstaerke seiner fleissig benuetzten Hupe nicht verrueckt wird. Selbst muss ich meine Ohrenstoepseln aus der Tasche hervorkramen. Den Indern scheint diese Lautstaerke nichts auszumachen.

Der zusammengerollte schlafende Welpe im Schoss der amerikanischen Nonne mit der braunen Kutte am Morgen im Ashram. Sri Ramana nannte die Hunde seine "Kinder", "Enkel", "the boys".

Shantivanam Ashram: Herrlich, mir am Abend den Reiseschweiss mit einer Bucket Shower abzuwaschen. Schoen auch, sich im Freien, unterm Sternenhimmel, die Zaehne zu putzen. Zwei Kuehe haben in den letzten Tagen gekalbt, und es gibt ein kleines, springlebendiges, Ziegenjunges.

Slapstickszene im Strassenrestaurant in einem kleinen Dorf, wo ich ploetzlich, vom Bus ausgespuckt, wie ein Protagonist eines Spaghettiwestern mit meinen Koffern im Staub dastand und von allen angestarrt wurde. Erstmal was essen, dachte ich, und landete neben einer indischen Familie, die wie ich in Teig herausgebackene Zucchinischeiben von Zeitungspapier assen. Eine Verwandte legte eine Extrascheibe auf das Papier ihrer Nachbarin, und die versuchte die Scheibe an ihren Mann weiterzugeben, worauf sie wieder zurueckwanderte, hin- und hergegeben, gegen eine andere ausgetauscht, schliesslich geteilt und friedlich verspeist wurde.


Liberation

"Liberation is our very nature. We are that. The very fact that we wish for Liberation shows that freedom from all bondage is our real nature. It is not to be freshly acquired. All that is necessary is to get rid of the false notion that we are bound. When we achieve that, there will be no desire or thought of any sort. So long as one desires liberation, so long, you may take it, one is in bondage."


(Be as you are, Teachings of Sri Ramana Maharshi)