Samstag, 29. Januar 2011

"The sound of India...

...is the sound of sweeping.", sagte Michael bei einem unserer 5:30 - Tees im Dorf, als wir auf unserem Mauervorsprung sassen und dem schwisch-schwisch der Reisigbesen zuhoerten, und ich nahm mir vor, das zum Betreff meines naechsten Postings zu machen. Das Geraeusch des Fegens ist das subtilste Geraeusch, zu dem man am Morgen aufwachen kann. Es wird nur leider meistens von lauter Musik und Verkehrslaerm ueberdeckt.

Heute morgen trafen wir beim Tee Pannir, einen indischen Freund Michaels, ein junger Bauer, der sich ehrenamtlich fuer die Ausbildung von jungen Maennern im Dorf einsetzt. Grade hat er sieben von ihnen geholfen, einen Platz in einem Programm fuer Staatsangestellte zu bekommen und hat ausserdem in Thanirpalli eine Bibliothek eingerichtet. Ausserdem trainiert er einen tamilischen Kampfsport, irgendwas mit Stoecken. Michael und er wollen heute abend nach Trichy zu einer Agricultural Show fahren.

Habe mich im Ashram verabschiedet. Kumpelhaendedruck von Brother George, bei dem man einander um den Daumen fasst. Soul Brother. David und Michael winken zum Abschied. David, auch er ein Englaender, war der Mann fuer den 17:00 - Tee im Dorf, der Mann fuer die kleinen Gespraeche ueber Schnuersenkel, ueber indische Geschichte und das Buch mit dem Titel "The Inner Eye of Love", mit dem er immer herumsass ("It's a marvellous book, everybody should read it"), ueber Krishnamurti, in dessen Buch "Total Freedom" ich gewoehnlich las, ueber Schokolade und Elizabeth Taylor. Gestern erzaehlte er, dass er den Beschluss gefasst hat, seine Wohnung in London zu verkaufen und sich statt dessen ein Haeuschen auf dem Land zu kaufen. "I might as well travel till I drop", sagt er, und schenkt mir ein glattrasiertes Laecheln zum Abschied, da er sich gestern in Kulithalai seinen Vollbart hat abrasieren lassen. "I feel sorry that you leave", sagt er, und Michael erkundigt sich nach dem "Head Stuff" und sagt, meine neue Brille, die ich in Trichy aholen wolle, wuerde mir vielleicht eine ganz frische Perspektive auf meine bevorstehenden Entscheidungen geben. Vertrau auf die unterirdischen Prozesse sagt er, die waehrend deiner Reise in dir stattgefunden haben, dann lacht er und sagt, es ist ja so leicht, anderen Leuten weise Sentenzen mit auf den Weg zu geben.

Der Rikschafahrer Jeeva hilft mir, im Bus einen Platz zu bekommen, indem er eine meiner Umhaengetaschen durch das Fenster auf einen Sitz wirft. Ich sitze ganz vorne, die Strasse ist holprig, Ziegen, Kuehe, Motorraeder, Fahrraeder. Ein umgekippter Bus liegt am Strassenrand. Gestern habe ich erfahren, dass eine der zwei kleinen Katzen mit den grossen Ohren, die ich auf meinem Weg ins Dorf immer vor einem Haus sitzen sah, ueberfahren worden ist.

Die Kombination von Hitze und Erkaeltung ist nicht gerade optimal. Habe einen hartnaeckigen Husten und bin ausserdem grade dabei, meine Stimme zu verlieren. Esse viermal am Tag ayurvedische Hustenmedizin, die jedenfalls den Husten ein wenig lindert. Die heisse Luft Chennais, sagt Michael, wird dir vielleicht gut tun. Heiss? Ist es hier nicht heiss genug? Gestern abend wartete ich vergeblich auf Abkuehlung, lief nach dem Abendessen ueber das Gelaende des Ashrams und die Strasse davor auf und ab wie ein wildes Tier in seinem Kaefig. Ja schon, aber anders heiss.

Die Brillenabholung war uebrigens dabei, eine typische Indiengeschichte zu werden. Hatte mich schon gewappnet, dass bestimmt wieder irgendwas schiefgegangen war, als sie bei JEHS OPTICALS im St. Joseph's Eye Hospital dann aber anfingen, zu zweit panisch im Brillenkasten zu wuehlen und ein Telefongespraech nach dem anderen zu fuehren, fuehlte ich mich doch etwas enttaeuscht. "Ten minutes", sagte der Optiker zu mir, und eine der Angestellen lachte, und ich dachte, jaja, haha, zehn Minuten, haha, eine Stunde, sorry madam, tomorrow... Doch nach zehn Minuten kam tatsaechlich jemand mit meiner fertigen Brille in der Hand herein, ich setzte sie auf, sieh da, alles stimmte, und der Optiker winkte mir stolz zu, als ich mit Brille und Gepaeck den Laden wieder verliess.

Ich wuerde gern so viel mehr schreiben, aber jedesmal, wenn ich in einem Internet Point sitze, bin ich froh, wenn ich bald wieder raus kann. Dass hier auf einem Miniatur-Altar gerade Rauecherstaebchen abgebrannt werden und die heisse Luft im Raum steht, da keiner der Ventilatoren eingeschaltet ist, ist nicht gerade von Vorteil fuer meine Atemwege, und ich sehne mich nach einem schattigen, etwas luftigen Ort, die Frage ist nur, ob es so was in der Naehe gibt.

In zwei Stunden geht mein Zug nach Chennai. Die Zugfahrt dauert sieben Stunden. Dort treffe ich P, mit der ich dann morgen nacht zurueck nach Kopenhagen fliege.

Mal sehen, ob ich noch mal die Moeglichkeit habe, zu bloggen. Euch ein schoenes Wochenende, alles, alles Liebe!

Donnerstag, 27. Januar 2011

Zeit verschwindet

Die Zeit verschwindet irgendwie. Die Tage fliessen ineinander.

Wann habe ich was getan? Habe ich ueberhaupt was getan?

Sitze in einem Browsing Center in Kulithalai. Es ist fuerchterlich heiss heute, aber jetzt, zehn vor sechs Uhr abends, ist die Waerme ertraeglich, in etwas mehr als einer Stunde geht die Sonne unter, und dann nehme ich eine Riksha zurueck zum Ashram.

Die schoenste Schuluniform, die mir in Indien begegnet ist, gibt es hier in Kulithalai, an einer reinen Jungsschule. Sie besteht aus rosafarbenen Hosen und rosa-weiss-karierten Hemden. Es begegneten mir heute ein paar Jungs in dieser Kleidung, und ich fragte, ob ich ein Foto von ihnen machen duerfte. Grosses Hallo und Gekichere und "Super!"-Rufe, und bald kamen noch mehr rosa Juenglinge angelaufen, und die ganze Gruppe begleitete mich dann ein Stueck des Wegs, mit den ueblichen Fragen, "How are you?", "Where are you from?", "What's your name?".



In der Frueh um halbsechs, noch im Dunkeln, zum Tea Stall, das ist das neue Tagesritual. Das Dorf ist schon wach, der Tea Stall voller Menschen, der Milchmann faehrt mit seinem Fahrrad durch die Strassen, eine Frau macht wie jeden Tag vor ihrem Haus ein Feuer an, vor dem winzigen Ganesha-Tempel stehen Leute und zuenden Butterlampen an.


Danach an den Fluss Kavery, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Ein Mann und eine Frau kommen noch in der Daemmerung mit ihrem kleinen Boot an, das ungefaehr die Form einer Kontaktlinse hat und genau zwei Menschen und ein paar Buendel fasst. Sie haben eine ganze Tuete Fische gefangen und muessen eine Weile an ihrem Moped herummachen, weil es nicht anspringt. Das Musikhandy auf voller Lautstaerke, inmitten dieser Morgenidylle.


Vom anderen Flussufer, einem Ort, der mindestens zwei Kilometer entfernt liegt, kommt laute Morgenmusik, schon von halbfuenf Uhr morgens an.

Fragte Michael heute, als wir nach dem Fruehstueck mit Fahrraedern uebers Land radelten, ob er eine Antwort darauf geben koenne, warum er seit 21 Jahren fuer mehrere Monate hierher kommt. Eigentlich nein, sagte er, aber dann gab er doch eine lange Antwort. There is a god-created hole in me, sagte er, und erklaerte dann, warum er sich hier mit dieser Luecke, dieser Leerstelle, dieser Sehnsucht aufgehoben fuehlt. Er redete auch von seiner Liebe zu diesem Land, Tamil Nadu, das noch von allen indischen Laendern am urspruenglichsten ist. Kann sein, dass ich ein Romantiker mit einer rosafarbene Brille bin, sagt er, aber es gibt hier eine Aufmerksamkeit, eine Freundlichkeit, die mir nirgendwo anders begegnet ist.

Kam an einem Kremationsplatz vorbei, wo kuerzlich ein Koerper verbrannt worden war. Man sah noch die Reste des Feuers, Asche, verstreute Blumen. Nicht weit davon sassen ein paar junge Maenner und spielten Karten. Ein paar hundert Meter weiter ueberholte ich den Leichenkarren, der von ein paar Maennern gezogen wurde.

Michael erzaehlte in der Frueh am Fluss, dass er die Asche seines Vaters hier verstreut hat. Einmal hatte sein Vater ihn hierher begleitet, sich in den Platz verliebt, und dann den Wunsch geaeussert, dass nach seinem Tod seine Asche hier verstreut wird.

Ob das erlaubt ist, frage ich. Man geht natuerlich nicht zum Check-In und sagt, ich habe hier die Asche meines Vaters im Gepaeck, sagt Michael.

In der Tea Time im Ashram rede ich mit W, einem melancholischen Deutschen, der sich gar nicht besonders wohlfuehlt. Es fehlt ihm eine Struktur, deutliche Meditationszeiten, ausserdem kann er nicht besonders gut Englisch. Eigentlich haette ich besser in ein deutsches Haus fahren sollen, sagt er. Ich frage ein wenig und finde heraus, dass er noch kein einziges Mal im Dorf war und auch sonst wenig unternommen hat. Ich sehe ihn immer mit seinen Shorts und seinen weissen duennen Beinen herumlaufen, er sieht verloren und fragend aus.

Die Zeit ist um, ich geh jetzt mal. Noch drei Naechte und drei Tage Indien.







Mittwoch, 26. Januar 2011

Truth is a pathless land

In der Ashram-Kueche (eigentlich "Betreten verboten!", aber ich wurde vom Gatekeeper hineingewunken, dami ich meine Wasserflasche fuellen konnte), haengt eine kleine Schiefertafel, auf der in Kreide die Zahl der Esser geschrieben steht, "Guests, Inmates, Old Home, Helpers, Workers". Ganz oben steht "God - 1".

Brother Martin: Sein Ziel ist es, Gott von den Religionen zu befreien, sagt er in einem seiner 16 Uhr-Vortraege.

Im Tea Stall im Dorf: Die Kunst des Teekochens. Eine Kaffeedose mit angeschweisstem Henkel in der einen Hand. Ein Metallbecher in der anderen. Um den Tee mit Milch, Zucker und Luft zu mischen, ruehrt man nicht um, sondern laesst ihn in einem Strahl von dem einen Behaelter in den anderen schiessen. Die richtigen Kuenstler oeffnen die Arme weit, so dass der Abstand zwischen ihnen sicher einen Meter fuenfzig betraegt, und vergiessen keinen Tropfen. Am Ende ist der milchige Tee schaumig wie Cappuccino, zum Abschluss kommt noch ein kleiner Schuss schwarzer Tee hinein, so dass der erste Schluck der staerkste ist.

Der Teeverkaeufer hackt Zwiebeln auf einem kleinen viereckigen Metalltablett, nimmt eine kleine Zwiebel nach der anderen, hackt sie mit schnellen Bewegungen, ohne abzusetzen.

Auch das alte Kassettendeck hinter ihm im Regal ist mit Heiligkeitsflecken verziert. Schulkinder in Schuluniformen (kariertes Hemd, rote Hose oder Rock) kommen mit riesigen Schulranzen vorbei.

Alte Maenner sitzen hier und lesen Zeitung, aber jetzt haben sie aufgehoert zu lesen, schauen mir beim Schreiben zu, und jedes Mal, wenn ich hochblicke, wackeln sie mit dem Kopf und laecheln freundlich.

Teilte mir am Morgen den Meditationsraum mit drei Yoga praktizierenden Amerikanerinnen.

Alison, die Australierin, ist zum ersten Mal in Indien, erst seit ein paar Tagen hier, und voellig aufgeloest, den Traenen nahe.

Die amerikanische Gruppe hatte gestern einen Schweigetag, lief mit kleinen Zetteln herum, auf denen stand: "I keep silence". Sass nach dem Fruehstueck neben diesen Schweigern vor meinem Schneidebrett und hackte einen Berg Zwiebeln und Weisskohl. Michael kam vorbei, nahm einen runden Metallteller aus dem Gestell, wo das Geschirr zum Trocknen aufgestellt wird und hielt ihn hinter meinen Kopf: Heiligenschein!

Der kleine Sohn des Teeverkaeufers laeuft mit silbernen Kettchen um die Fussgelenke herum. Fusskettchen, wie die Taenzerinnen sie tragen, mit kleinen Gloeckchen. Stolz hebt der Teeverkaeufer ihn hoch. My son, sagt er und laechelt ein strahlendes Laecheln. Spaeter kommt auch seine Tochter, die schon eine Schuluniform traegt. My daughter sagt er, und wieder das schoene Laecheln.

Lese Krishnamurti: "I maintain that truth is a pathless land and you cannot approach it by any path whatsoever, by any religion, by any sect."

Montag, 24. Januar 2011

Zugfahrt und Augenklinik

In der Frueh hatte ich die Meditationshalle fuer mich allein. Die Amerikaner machten einen Ausflug zu einem anderen Ashram, um dort zu chanten.
Um acht Uhr wollte ich den Zug nach Tiruchirapally nehmen, um mir im St.John's Eye Hospital meine Augen untersuchen zu lassen.

Michael begleitete mich zum Bahnhof, schob sein Fahrrad neben mir her.

Did you get a new bed, fragte er mich gestern.
Yes, a really big one.
So maybe now you can have two heads instead?

Das head-thing ist zu einem running joke zwischen uns geworden.

Es ist gerade hell geworden, als wir losgehen. Die Strassen sind rein gefegt. Maenner stehen im Fluss und waschen sich.

Seit er siebzehn ist, kommt Michael nach Indien (er ist jetzt 64, die Inder nennen ihn "Tata", Grossvater, though I'm still a child at heart, sagt er), und seit 21 Jahren in den Ashram. Er bleibt immer mehere Monate hier, weiss deshalb eine Menge.

Z.B.: Zwischen dem 15. Dezember und 15. Januar ist der sogenannte "dunkle" Monat (die Sonne ist am weitesten entfernt, es ist am kaeltesten). Um die boesen Geister wegzuhalten, muss deshalb in den Doerfern bei Sonnenaufgang unbegreiflich laute Musik ueber riesige Lautsprecher gespielt werden, und die Menschen stellen Lampen neben ihre Hauseingaenge. Die Sonne geht jedoch das ganze Jahr ueber zur gleichen Zeit auf und unter.

An einem peinlich sauberen und frisch geschmueckten Tea Stall machen wir Pause, trinken Tee. Der kleine Baum vor uns ist heilig, mit Farbflecken verziert, und eine Butterlampe brennt an seinem Fuss.

Ich sage zu ihm, mir gefallen die einfachen weissen Alltags-Kolams (die Zeichnungen, die die Frauen jeden Morgen vor der Tuerschwelle machen) eigentlich besser als die protzigen bunten Feiertagskolams. Er stimmt mir zu, ja, ja, sie sind tatsaechlich schoener!

Das ist Indien, sagt Michael, und meint das Dorfleben an einem Morgen wie diesen. Den Taj Mahal muss man nicht unbedingt sehen, nunja.

Einige Zahlen:
65% der Inder leben auf dem Land, was einen umwirft, wenn man die Moloche von Staedten gesehen hat.
70% der Inder sind unter vierzig. In England ist das Verhaeltnis umgekehrt, sagt er.
105 Buchstaben hat Tamil, sagt Michael, wenn man alle Variationen mit dazu rechnet.

Enjoy the journey. Hope your head will take a break, sagt er, bevor er sich auf sein Fahrrad schwingt und zurueck zum Ashram faehrt.

Der Zug ist brechend voll von indischen College-Schuelern auf der Weg zur Schule. Einige machen ihre Hausaufgaben, andere lesen, versuchen noch Restwissen in sich hineinzustopfen, aber die meisten konkurrieren mit ihren auf Hoechtslautstaerke eingestellten Musikhandys (die Gespraechslautstaerke ist ebenfalls beachtlich).

Die Jungs mit akkuratem Messerschnitt, viel zu engen Stoffhosen und kurzen angeschlitzten Hemden, die ueber den Hosenbund haengen. Die Maedchen ausnahmslos langhaarig, mit traditionellen indischen Kleidern, einige mit Blumenschmuck im Haar.

Junge Maenner sitzen eng umschlungen da, liebkosen einander die Haende, setzen sich einander auf den Schoss, den Kopf an die Schulter des anderen gelehnt.

Am Bahnhof fruehstuecke ich in einem kleinen Restaurant, dann nehme ich eine Riksha zum St. Joseph's Eye Hospital, das vom TUEV SUED irgendeine ISO-Auszeichnung fuer Management und so weiter bekommen hat. Und ich fuehle mich auch wie in einer gut geoelten Maschinerie, wie ich von Untersuchungszimmer zu Untersuchungszimmer gefuehrt werde, mindestens vier verschiedene Aerzte treffe, Augentropfen verpasst bekomme, die mich alles verschwommen sehen lassen.

Jeder Arzt blickt mir tief in die Augen und fragt: What's your problem?
No problem, no problem, sage ich (luege ich), in meinem inzwischen fliessenden Indisch-Englisch, da ich weiss, dass sie an der Antwort eigentlich nicht interessiert sind.

Ende der Untersuchung: Ich brauche eine halbe Dioptrin weniger, und "according to age", ein bisschen mehr Lesestaerke. Taumle in die Mittagshitze, fluechte in ein dunkles Restaurant und dann in diesen Internetpoint.

Ciao, Ihr Lieben, jetzt gehts zurueck in den Ashram, aber mit dem Bus!

It is not meaningless that you are here

23.1.11, 111.Geburtstag meines Grossvaters Christel

Um 5:30 gehe ich in die Meditationshalle, aber der Raum ist voll mit Asanas uebenden Amerikanern. Setze mich also in die dunkle Kirche (man sitzt auf dem Boden), bleibe dann auch waehrend der Sonntagsmesse da, die um 6:30 beginnt.

Ein paar denkenswerte Worte ueber Stille, "silence". Es gibt in Indien (auf Sanskrit?) zwei Woerter dafuer, Inner Silence und Outer Silence. Outer Silence bedeutet einfach Abwesenheit von Geraeuschen, nicht sprechen. Inner Silence ist eine Stille jenseits der Worte, etwas, das vor allem anderen da war, "uncreated". Will man sich Wissen aneignen, muss man lesen, lernen, sprechen. Will man alles wissen, ist die Bedingung dafuer Stille, und zwar "Inner Silence". (So Brother John in seiner Sonntagspredigt.)

Das Bett, das ich gestern bekam, war viel zu kurz, ich passte nur schraeg hinein.

Eine Loesung, so Michael, der Englaender, nach dem Fruehstueck, als wir nebeneinander unsere Teller abspuelten, waere, ein Stueck von mir abzuschneiden, und deutete dabei auf meine Fuesse.

Ja, sagte ich, aber den Kopf bitte. Der bereitet mir momentan nur Probleme.

Michael stutzte, nur eine halbe Sekunde lang, dann sagte er, get rid of the head, keep the heart, that's it?!

Spaeter begegneten wir uns wieder. Oh, sagte er, your head's still on!? Ja, sagte ich, jemand war der Meinung dass es besser ist, wenn ich in ein anderes Zimmer ziehe.

Ging am Vormittag am Fluss entlang nach Kulitthalai. Kaufte Stoff, Schals, Plastikkannen, eine Waschseife, trank Tee. Auf einer Muellhalde standen ein paar Kuehe und gruben in den rauchenden Muellhaufen nach was Essbarem.

Eine Ziege lief am Strassenrand mit einer durchsichtigen Plastiktuete ueber dem Kopf herum. Anscheinend hatte sie ihn zu tief hinein gesteckt, um was Leckeres zu fressen, und begriff jetzt nicht, warum sie die Welt verschwommen sah und nicht mehr fressen konnte. Ich versuchte, ihr die Plastiktuete herunterziehen, aber das war nicht ganz enifach, weil sie andauernd weglief. Packte sie schliesslich am Hals und zog schnell die Tuete herunter. Sie meckerte, ob aus Dankbarkeit oder Protest, war schwer zu sagen.

Im Fluss standen Frauen, wuschen sich, wuschen Kleider, winkten und riefen.

Ein glatzkoepfiger Mann hielt mit seinem Motorroller neben mir an und schenkte mir ein Laecheln, das eine grosse Zahnluecker freilegte. You need help?, fragte er mich. Er nahm mich auf dem Ruecksitz seines Motorrollers mit bis zur Abzweigung, die zum Ashram fuehrt, und nachdem er mich erneut angestrahlt hatte, wendete er und fuhr davon.

Brother Martin fragte mich was der Anhaenger um meinen Hals bedeutet. Es ist ein tibetisches Symbol, sagte ich, for protection of the throat chakra.
To turn it on, or to turn it off, fragte er.
To turn it off, I guess sagte ich. Talk less.
Er ging lachend davon.

Der indische Kuckuck ruft.

It is not meaningless that you are here, sagte Brother John heute. Er sagte es zu allen, aber es war der Satz, den ich gerade in diesem Moment dringend brauchte.

Eindruecke von der Busreise

22.1.11

Die halb abgerissenen Wohnhaeuser am Strassenrand, wo die Strassen verbreitert wurden. Die Bewohner wohnen in der heilen Haelfte, zur Strasse hin klafft eine Wunde.

Meine Kokosnussfrau oeffnet mir eine zweite Kokosnuss, als ich die erste leergetrunken habe. Geschenk. Als wuesste sie, dass ich heute abreise.

Kinder, junge Maenner, alte Maenner mit Chips - Samosas - Palmherzen - gekochten Kichererbsen im Plastikpaeckchen - kleinen Wasserbeuteln, die sie auf Metalltellern durch die Busse tragen, sobald dieser sich einem Busbahnhof naehert.

Im Bus: Maenner sitzen neben Maennern, Ladies neben Ladies. Solange ein Platz neben einer Frau frei ist, setzt eine allein reisende Frau sich nicht neben einen Mann (und umgekehrt).

Pissende Maenner am Strassenrand, mindestens hundert sehe ich im Lauf dieser fuenfstuendigen Busreise.

Als ich kurz im vorderen Teil des Busses bin, um den Schaffner was zu fragen, kann ich ueberhaupt nicht verstehen, dass der Busfahrer von der Lautstaerke seiner fleissig benuetzten Hupe nicht verrueckt wird. Selbst muss ich meine Ohrenstoepseln aus der Tasche hervorkramen. Den Indern scheint diese Lautstaerke nichts auszumachen.

Der zusammengerollte schlafende Welpe im Schoss der amerikanischen Nonne mit der braunen Kutte am Morgen im Ashram. Sri Ramana nannte die Hunde seine "Kinder", "Enkel", "the boys".

Shantivanam Ashram: Herrlich, mir am Abend den Reiseschweiss mit einer Bucket Shower abzuwaschen. Schoen auch, sich im Freien, unterm Sternenhimmel, die Zaehne zu putzen. Zwei Kuehe haben in den letzten Tagen gekalbt, und es gibt ein kleines, springlebendiges, Ziegenjunges.

Slapstickszene im Strassenrestaurant in einem kleinen Dorf, wo ich ploetzlich, vom Bus ausgespuckt, wie ein Protagonist eines Spaghettiwestern mit meinen Koffern im Staub dastand und von allen angestarrt wurde. Erstmal was essen, dachte ich, und landete neben einer indischen Familie, die wie ich in Teig herausgebackene Zucchinischeiben von Zeitungspapier assen. Eine Verwandte legte eine Extrascheibe auf das Papier ihrer Nachbarin, und die versuchte die Scheibe an ihren Mann weiterzugeben, worauf sie wieder zurueckwanderte, hin- und hergegeben, gegen eine andere ausgetauscht, schliesslich geteilt und friedlich verspeist wurde.


Liberation

"Liberation is our very nature. We are that. The very fact that we wish for Liberation shows that freedom from all bondage is our real nature. It is not to be freshly acquired. All that is necessary is to get rid of the false notion that we are bound. When we achieve that, there will be no desire or thought of any sort. So long as one desires liberation, so long, you may take it, one is in bondage."


(Be as you are, Teachings of Sri Ramana Maharshi)

Freitag, 21. Januar 2011

Von der Sinnlosigkeit des Reisens

Heute gab es zum Abendessen einen kleinen Klecks von was, was beinahe wie Kaese schmeckte. Ich bin jetzt schon eine Essens-Expertin, hab mich schon dran gewoehnt, dass es zu jedem Essen auch irgendeine suesse Sosse oder Paste gibt, die man zusammen mit dem Reis und der Sambalsosse in sich hineinschleckt. Ich habe auch beobachtet, dass es durchaus moeglich ist, Fluessigkeit mit der Hand zu essen, bloss haette ich mich das so nicht getraut, wie ich es bei den Indern gesehen habe.

Heute sehnte ich mich nach europaeischem Essen. Danach, in meiner eigenen Kueche zu stehen, zu kochen, Brot zu backen. Nach einer Tasse gutem (zuckerfreiem) Kaffee. Nach Menschen, die einen gewoehnlichen Alltag haben, mit Arbeit und Routine, die nicht ihre Zeit damit verbringen, vor dem Grabmal eines Heiligen zu sitzen und selber heilig auszusehen.

Heute kam es mir ziemlich sinnlos vor, in Indien zu sein. Ueberhaupt sinnlos, irgendwo andershin zu fahren und nicht da zu bleiben, wo man schon ist.

Fuer meine naechsten Tage im Saccidananda (Shantivanam) Ashram habe ich mir zwei Buecher gekauft: Total Freedom (The Essential Krishnamurti) und The Life of Pi von Yann Martel.

Ich werde auch in den naechsten Tagen von mir hoeren lassen, wenn auch nicht so haeufig. Morgen geht es ausserdem in die St Joseph Augenklinik in Tiruchirapalli, wo ich mir eine neue Brille verpassen lassen will. Hoffe, dass dort am Samstag auch gearbeitet wird. Die Busfahrt soll angeblich 5 Stunden dauern. Hallo, dort draussen schon mal jemand mit einem indischen Bus gefahren? Mein erster Versuch, in Indien Bus zu fahren, endete damit, dass ich nach zwei Stunden immer noch dastand, weil alle Busse schon voll waren, bevor sie ueberhaupt an der Haltestelle angekommen waren...

Liebe Gruesse an Euch alle.

Die gesegnete Kraehe usw.

Zum Fruehstueck gibt es ausser Idly und Sambal auch immer ein kleines Hauefchen braunen Zucker auf den Blaetterteller. Seltsame Mischung, aber nicht unlecker.

Danach kam ich gerade zufaellig bei der Puja (Feueropfer) am Schrein der Kuh Lakshmi (Lakshmi the cow) vorbei, die seit 1948 tot ist, und nahm mir auch eine Handvoll Feuer an die Stirn. Die Kuh Lakshmi war die Lieblingskuh von Sri Ramana Bhagavan, und es werden viele Geschichten ueber sie und ihre Hingabe zu Sri Ramana erzaehlt. Unter anderem soll sie Samadhi erlangt haben, weshalb sie auch nach ihrem Tod noch taeglich verehrt wird. Alle der 125 Kuehe, die heute im Ashram leben, sind Nachkommen der Kuh Lakshmi.

Ihr Schrein ist bei weitem der groesste in einer Gruppe von Grabstellen mit Lieblingstieren von Sri Ramana, mit ihrem in Stein gehauenen Abbild. Daneben ist das Grab des Hunds Jackie (Jackie the dog), das Grab der gesegneten Kraehe (The Blessed Crow) und das Grab des Rehs Valli (Valli the deer). Katzen waren (ausser einer lahmen Katze mit dem Namen Nondi = lahm) im Ashram nicht gern gesehen, weil sie Eichhoernchen und Voegel jagten.

Sri Ramana soll sogar einen weissen Pfau zum Vegetarismus konvertiert haben!

Schaute einem spielenden Welpen zu und dann dem Liebesspiel eines Pfauenparchens auf dem Ashramdach. 

Fuhr nach dem Fruehstueck mit einer Riksha zum Busbahnhof, um eine Busfahrt fuer morgen zu buchen. Als ich das vor ein paar Tagen versuchte, erfuhr ich, dass man ab acht Uhr morgens buchen kann. Es ist aber schon halbneun, sagte ich, bekam jedoch darauf keine Antwort mehr. Ein Inder klaerte mich dann darueber auf, dass es wegen dem Vollmondfest an dem Tag nicht moeglich war zu buchen. Ich sollte am naechsten Tag wieder kommen. Heute erfuhr ich schliesslich, dass es prinzipiell nicht moeglich ist zu buchen... Sind die Busse voll? Nein, nein, vehementes Kopfschuetteln. Not full, not full...

Weiss uebrigens gar nicht, ob ich morgen fahren kann, da ich im Moment das vage Gefuehl habe, dass mein Magen-Darmtrakt etwas Seltsames ausbruetet. Ich trinke fleissig das Wasser von gruenen Kokosnuessen, weil das eine desinfizierende Wirkung haben soll. Es ist faszinierend zuzusehen, wie die Kokosnussverkaeufer in der einen Hand die Kokosnuss halten und sie mit einem gebogenen Messer, das sie in der anderen Hand haben, koepfen. Danach trinkt man direkt aus der Nuss, entweder mit Strohhalm oder ohne.

Als ich heute wieder barfuessig zur Hoehle wanderte, bekam ich Gesellschaft von zwei jungen Maennern aus Bangalore, Business Consultant der eine und lebt in Chicago, der andere ein quirky Typ, der von sich sagte, dass er nicht viele Buecher lese, aber viel im Internet browse, und binnen weniger Minuten unterhielten wir uns ueber "egoless state" und "go beyond the mind", "liberation of self" usw. Der eine von ihnen sagte, eigentlich lassen sich diese Zustaende auch chemisch induzieren, mit Hilfe von LSD z.B., es gibt aber eine Qualitaet, die sozusagen das Original von der Kopie unterscheidet, und das ist "belief". Ich wusste nicht genau, was er damit sagen wollte und fragte, ob sie vielleicht wuessten, wie der Ausdruck auf Sanskrit heisst. Sie ueberlegten eine Weile und sagten dann, dass es auf Sanskrit vielleicht am ehesten "bhakti" ist, also "devotion". 

Setzte mich wieder in die Hoehle, gegenueber von einem Europaeer, der mit geschlossenen Augen medititerte, aber andauernd in sich hinein kicherte. Bat um Hilfe, um ein Zeichen, irgendwas. Habe mir vorgenommen, wirklich darauf zu achten, offen zu sein, hellhoerig.

(Gestern brachte ich uebrigens ein paar Kleider zum Buegeln. Aber jedes Mal, wenn ich heute zu dem Wagen kam, um die Kleider abzuholen, war der Mann grade weg.)

Donnerstag, 20. Januar 2011

Zusammengenaehte Blaetter

Ich wachte heute (ohne Wecker) ungefaehr sieben Minuten vor dem Fruehstueck auf, zog mich schnell an und ging mit Riesenschritten in den Ashram, diesmal schon erfahrene Esserin, setzte mich vor meinem "Teller" auf den Boden (zum Fruehstueck gibt es zwei Becher, einen fuer Wasser, einen fuer Tee). Kippte diesmal nichts um. Voellig fasziniert betrachtete ich meinen Teller. Er bestand naemlich aus getrockneten und gepressten Blattern, die irgendwie zu einem Rundel zusammengenaeht waren. Bei naeherer Ueberlegung glaube ich aber jetzt, dass das Zusammennaehen vor dem Trocknen und Pressen geschehen muss. Und es war auch nicht wirklich genaeht, sondern mit winzigen Holzsplittern zusammengesteckt. Genial. Eine sinnvolle Beschaeftigung fuer dunkle Wintertage. Und man hat den perfekten recycelbaren Teller.

Es gab Idly (kleine gedaempfte Reiskuchen) mit Sambal (Sosse). Schnell gegessen, Haende gewaschen, Wasserflasche gefuellt.

Nach dem Fruehstueck machte ich mich auf den zwei Kilometer langen Weg zu der Hoehle, in der Sri Ramana Bhagavan sieben Jahre verbracht hat (eigentlich eine Hoehle mit einem davor gebauten Haus und Veranda, inklusive Schlafkammer mit Steinbett und Steinkissen). Heute ging ich barfuss. Ist jetzt ein Ort der Meditation. Die wilden Affen werden mit Reis gefuettert (der Heilige war ein grosser Tierfreund, es gibt eine Menge Buecher darueber), und auch Hunde scheinen hier eine Art inneren Frieden zu haben (waehrend sie sonst in Indien rastlose, hungrige, von Schaedlingen geplagte Kreaturen sind). Langsam gelang es mir, im Inneren der Hoehle (die vielleicht zwei Quadratmeter gross ist) einen Sitzplatz zu bekommen und sass dort lange. Lange. Als ich mich irgendwann wieder umschaute, sass ich da ganz allein.

Ich hatte am Vormittag eine Zeit mit John, meinem jungen Bekannten aus Ladakh, vereinbart, aber er hatte so viele Kunden, als ich da war (ich sass trotzdem im Laden, trank einen Tee, schaute zu, gab Geschmackstips), und er sagte, es waere besser, wenn ich spaeter mit ihm in seinen Behandlungsraum kaeme. Er zeigte mir einen tibetischen Healing Wand. Das Teil warf mich um. Es bestand aus spiralfoermig geschnitztem dunklem Holz, in der Mitte war ein Kupferstab, an den in Silber gefassten Enden war eine Kugel bzw. eine Spitze aus Bergkristall, ausserdem rundherum eingearbeitete Edelsteine. Ich nahm es in die Hand, und es steckte eine Wahnsinnsenergie drin.

Er hatte noch einen anderen Healing Wand, den er aber nicht auswickeln wollte, so lange noch andere Kunden im Laden waren.

Bin in drei Minuten verabredet. Muss mich also beeilen. Spaeter mehr.

Seid lieb gegruesst.

Mittwoch, 19. Januar 2011

Um den Berg herum

Heute gibt es viel Lesefutter von mir - es ist aber auch ein besonderer Tag.

Jetzt bin ich um den Berg herumgewandert (fuhr nur das letzte Stueck durch die Stadt mit einer Riksha, auf vielen Umwegen, ueber viele wurstfoermige Buckel, da die Hauptstrassen wegen der Prozession gesperrt waren), und immer noch wandert ein Strom von barfuessigen Pilgern vor den Tueren des Internetcafes vorbei, und es wird wohl die ganze Nacht so weitergehen. Hab das Abendessen im Ashram ausgelassen, bin jetzt etwas hungrig, will aber noch was schreiben. War insgesamt dreieinhalb Stunden auf den Beinen, aber nicht barfuessig, was natuerlich den Wert meiner Wanderung etwas herabmindert.

Es gibt fuer die Umrundung des Aranchala den "Inner Circle" und den "Outer Circle". Der "Inner Circle" ist ein Pfad und fuehrt durch die Natur, der "Outer Circle" ist auf der Strasse und ungefaehr vier Kilometer laenger. War erstaunt, als ich begriff, dass die Menschen alle auf der Strasse bleiben, so hatte ich mir das nicht vorgestellt, sondern viel romantischer, mit Mondschein und Bergsilhouette usw. Beschloss, mich auf eigene Faust in die Vegetation zu begeben, zumindest bis zum Einbruch der Dunkelheit, und etwas gemischte Gefuehle hatte ich schon.

Aber schnell hatte ich einen Begleiter, der wie ich auf dem Weg zum Inner Circle war, beziehungsweise ploetzlich ein Stueck von mir entfernt aus dem Gebuesch huepfte (ein sensiblerer Mensch als ich waere vielleicht erschrocken) und "Inner Circle?" rief. Es war ein Inder aus Bangalore im Nachbarstaat Karnataka. Erst dachte ich, schade, mein Alleinsein ist dahin, dann war ich dankbar, weil ich allein doch ein wenig Schiss gehabt haette, und ich glaube, ihm ging es genauso. Wir hielten uns also dicht hintereinander, er redete von "dangerous", ich redete uns Mut ein.

Nach ein paar hundert Metern stiessen wir auf eine geschlossene Menschengruppe, die hinten und vorn von Polizisten begleitet wurde, mit langen Stoecken, Scheinwerfern (es war aber noch hell), Pistolenguerteln, beeindruckend breiten Rueckgraten. Erst dachte ich, sie suchen irgend jemand, ein Kind hat sich verlaufen, aber mein Begleiter klaerte mich schnell darueber auf, dass irgendein VIP hier pilgerte und zwar in Begleitung seiner Familie und einer Polizeieskorte und in einem ziemlichen Bummeltempo. Klasse, dachte ich, Polizei, da kann ja nichts passieren, aber es war dann doch ein bisschen zu langsam. Nach einigem Zoegern und Fluestern und hin und her nahmen wir uns schliesslich die Freiheit, den VIP zu ueberholen (der uebrigens auch nicht barfuss ging), ein hoher Polizeichef, raunte mir mein Begleiter zu, und einer der Polizisten konnte es nicht lassen, mich im Voruebergehen zu fragen, "which country?".

Sobald die Dunkelheit sich nur ahnen liess, machten wir uns (auf Begehren meines Begleiters, dessen Blackberry ab und zu in der Tasche seiner Trainingshose klingelte, und zwar mit einem indischen Mantra als Klingelton, worauf er in der melodischen Sprache des Suedens antwortete) schleunigst auf den Weg zur Strasse und gingen im Strom der Pilger weiter. 

Mein Inder (er sagte mir seinen Namen erst ganz zum Schluss) war ein Brahmane in Rente (mit 52 Jahren?!), offensichtlich wohlhabend genug, um sich Auslandsreisen (Grossbritannien, USA) leisten zu koennen. Sein Englisch war so gut, dass ich beinahe alles verstand, was er sagte, und er verstand auch, was ich sagte, das kommt in Indien nicht so oft vor, Gesrpraeche sind in der Regel sehr muehsam und auf Einwortsaetze beschraenkt. Ausserdem wusste er eine Menge, und so hatten wir ein ziemlich interessantes Gespraech, ueber Indien, Europa, dies und das, so dass die Zeit schnell verging und ich ausserdem Antwort auf einige meiner Fragen bekommen habe.

Z.B.:
Gehoeren alle Kuehe, die man auf der Strasse sieht, jemandem? Was passiert mit den Kuehen, wenn sie alt werden?
Ja, alle Kuehe gehoeren jemandem, jedenfalls so lange sie Milch geben koennen. Wenn eine Kuh keine Milch mehr geben kann, landet sie beim Schlachter.
GIBT ES SCHLACHTER? (rhetorische Frage)
Sind die Sadhus, die hier orangegekleidet herumlaufen, wirklich heilig, werden sie respektiert?
Nein, die Sadhus, die hier auf der Strasse betteln, sind in seinen Augen einfach nur Obdachlose. Ein echter Sadhu geht nicht auf die Strasse, er bleibt in seiner Hoehle etc.
Ist Tamil (er war kein Tamile, konnte aber die Sprache) eine schwere Sprache? Wie sehr unterscheiden sich die verschiedenen Sprachen in Indien?
Tamil ist nicht so schwer, findet er, jedenfalls das gesprochene Tamil, aber das Alphabet hat 32 Buchstaben (verglichen mit 26 im Englischen). Die Grammatik ist schwerer als die englische Grammatik. Tamil und Malayalam (aus dem Nachbarstaat Kerala) unterscheiden sich nicht so sehr, aber seine Sprache und Tamil sind komplett verschieden.
Wie arbeiten die Hellseher, die man hier am Strassenrand sieht?
Sie lassen den Papagei, der in einem winzigen Kaefig sitzt, eine Karte waehlen und lesen dann aus einem Buch vor, was die Karte bedeutet.
Armer Papagei.
Ja armer Papagei.

Oh, die Zeit fliegt und ich glaube, um 21:00 werden die eisernen Tore zu meinem Ashram geschlossen, ich muss los, mir noch eine Banane kaufen und eine Flasche Wasser, und den Tag in meinem Zimmer beschliessen.

Shakti und mein Halschakra

Auf der Suche nach Internet landete ich auf einer staubigen Nebenstrasse direkt in der Halle eines Luxushotels, wo zwei Amerikaner an der Rezeption gerade fragten, ob es hier Cappuccino, Caffe Latte, Espresso, Cortado o.a. zu kaufen gibt. Die Antwort habe ich nicht abgewartet, das indische Schweigen war vielsagend genug...

Wieder mal ist die Angst vor der Wirklichkeit schlimmer gewesen als die Wirklichkeit selbst. Nachdem ich am Morgen herauszufinden versucht habe, wie ich am Samstag nach Tiruchirapalli komme und am Busbahnhof Hilfe von einem unglaublich duennen Sadhu in der typisch orangefarbenen Kleidung bekommen habe (der ausnahmsweise fuer seine Hilfe nicht bezahlt werden wollte) und mit einer traurig aussehenden Deutschen ein melancholisches Gespraech gefuehrt habe, packte ich meine Sachen und nahm eine Riksha zum Ashram.

Das Zimmer hier ist der reine Luxus! Ich habe einen eigenen Eingang, Mueckennetz an allen Fenstern und Tueren, Doppelbett, eigenes Bad, einen eigenen Balkon. Tisch, Stuhl, sogar einen kleinen Schrank. Das Zimmer liegt auf einem eigenen Grundstueck gegenueber vom Ashram, und vom Fenster aus sehe ich die Bibliothek. Ich fuehlte ploetzlich die Anspannung der letzten Tage von mir abfallen, etwas wie Lebenslust regte sich in mir.


Als Erstes machte ich mich auf den Weg, um mir eine Bluse mit langen Aermeln zu kaufen, weil im Ashram naemlich schulterfrei nicht erlaubt ist und ich keine sauberen Kleider mit Aermeln mehr hatte. Ich fand einen Laden, der mich sofort beim Eintreten ganz merkwuerdig (positiv!) beruehrte. Blieb zwei Stunden drinnen, hauptsaechlich zum Reden. Der Ladenbesitzer war aus Ladakh, ganz jung (21), hatte den Laden vor kurzem von seinem Grossvater uebernommen, der Tibeter ist und einen Teil des Schmuckes selber macht, der im Laden verkauft wird (ganz viel mit Chakras und tibetischen Symbolen). Es zeigte sich, dass der junge Mann sich intensiv mit verschiedenen Healing-Methoden beschaeftigt, sogar (zusammen mit seinem Grossvater) ein Buch darueber schreibt, und er bat mir fuer morgen ein Healing an (irgendwas mit Kristallen, einem tibetischen Stab usw.) und gab mir an Ort und Stelle eine Chakrabehandlung mit Klangschalen (allerdings nicht zu vergleichen mit der voellig umwerfenden Behandlung, die ich in Mamallapuram bekommen habe). Ich kaufte mir ein Medaillon zum Schutz meines Halschakras, und wir redeten ganz lange ueber Meditation, Chakras, Mandalas, er erklaerte mir die Anwendung von Healing Sticks usw. Schoen.

Ging dann zum Essen in den Ashram. Man setzt sich in einer Riesenhalle auf den Boden, vor eines der ausgelegten Bananenblaetter mit Metallbecher (den ich gleich umstiess, woraufhin ich waehrend des ganzen Essens mit einer sich ausbreitenden Wasserpfuetze kaempfen musste). Neben mir sass eine junge Amerikanerin, von der ich mir erklaeren liess, was ich zu tun hatte. Eigentlich nichts. Das Essen kam in Eimern und wurde auf das Bananenblatt geloeffelt, so dass es in alle Richtungen spritzte. Am Ende, als eine Art Suppe kam, hatte ich fast keinen Reis mehr und war dann damit beschaeftigt, die Fluessigkeit daran zu hindern, vom Bananenblatt herunterzurinnen. Fluessigkeit mit der Hand zu essen ist zugegebenermassen ziemlich schwierig. Die junge Frau laechelte nachsichtig. Gegenueber sass ein nett aussehender Japaner, der seinen Nachbarn fragte, wie lange er hierbleiben wuerde. Solange Bhagavan (das ist der 1950 verstorbene Guru) mich hier haben will, nehme ich an, antwortete der. Nun ja. Ich habe jedenfalls nur DREI Tage (in Grossbuchstaben) Aufenthaltsrecht hier, und ich glaube, das ist die Regel. Leute, die schon oefter hier waren, koennen sicher laenger bleiben. Die junge Amerikanerin sagte, dass ihr Vater seit fuenfundzwanzig Jahren jedes Jahr hierher kommt. Und jetzt kommt auch sie. Wie lang bleibst du, fragte ich. Eine Woche, ein paar Wochen, sagte sie, und: es ist schwer sich loszureissen.

Vor dem Speisesaal traf ich Shakti wieder, unseren schoenen Bergfuehrer von gestern. Ich hatte mir schon vorher vorgenommen, ihm die dreihundert Rupies zu geben, um die wir gestern beinahe endlos verhandelt haben. Es ist naemlich so, dass die Guides hier horrende Summen verlangen und offensichtlich von den Touristen auch bekommen, dabei ist jedenfalls der Rundweg so gut markiert, dass selbst ein Blinder Schwierigkeiten haette, sich nicht zu verlaufen. Er freute sich jedenfalls, und ich fuehlte mich erleichtert, da diese Sache mir seit gestern ein wenig Kummer bereitet hat.

Fuer heute Abend habe ich eine erneute Umrundung (diesmal komplett) des Bergs geplant. Das ist hier Tradition in jeder Vollmondnacht. Weshalb auch beinahe alle Hotels in der Stadt ausgebucht sind.

Lasse spaeter von mir hoeren. Es ist heiss, die Tapete an der Wand glitztert metallic rot. Vor unserem Hotelfenster war gestern eine Affenhorde, die ich durchs Gitter mit Keksen fuetterte. Vor allem einer kam immer wieder zurueck, ganz broeslig ums Maul.

Dienstag, 18. Januar 2011

Bin wieder da, aber bald wieder weg

Sitze also wieder in einem Browsing Center, leuchtend tuerkisblaue Wande, direkt unter einem Ventilator, der mir schoen ins Gesicht blaest, um beinah halbneun Uhr abends, und weiss nicht so recht, wo ich anfangen soll.

Vielleicht damit, dass meine Fuesse soeben von Muecken aufgefressen werden.

In den vergangenen zehn Tagen habe ich eine Erkaeltung ueberstanden, war in einem indischen Heim zur Pongalfeier eingeladen (Neujahr und Erntedank), mit Wasserbueffeln, Kuehen, Ziegen, einer auf offenem Feuer gekochten Reisgruetze und einem aus Kuhdung gebauten und mit vielen Blumen geschmueckten Altar. Habe das Wasser gruener Kokosnuesse getrunken und ein kleines Feuerwerk in einem Bergdorf auf dem Dach einer Schule veranstaltet. Habe am Ufer eines heiligen Flusses zu griechischer Musik getanzt und mich von einem Elefanten segnen lassen. Habe viele, viele kleine indische Haende geschuettelt und mir ein Buch mit dem Titel "Be as you are" gekauft. Bin halbwegs um einen heiligen Berg herumgewandert und habe in einer alptraumhaften Stunde in einer vor Menschen und Fahrzeugen kochenden indischen Kleinstadt Mittagessen fuer sechzehn hungrige Menschen organisiert, das wir dann im Stehen neben den Mauern eines Miniaturtempels von Papptellern verzehrten. Ich habe mich hundert Mal ueber Inder aufgeregt und war tausend Mal entzueckt von ihnen.

Die Gruppe ist heute nach Chennai abgereist, und ich habe noch knappe zwei Wochen fuer mich allein. Werde drei Naechte in Tiruvannamalai im Sri Ramana Ashram verbringen. Hab ein wenig Schiss davor, es ist naemlich eine Riesenanlage. Werde bald wieder von mir hoeren lassen, solange ich noch Zugang zum Internet habe. Danach fahre ich naemlich wieder zu meinen Moenchen, und dann ist cyberfreie Zeit angesagt...

Ich denk an Euch, und mir geht es gut (und den Muecken auch, die jetzt ordentlich vollgefressen sind).

Samstag, 8. Januar 2011

Offene Fragen, Indien betreffend

Sitze grade in einem bruetend warmen Internetcafe, in einer kleinen Kabine, ueber mir drehen sich zwei Ventilatoren quaelend langsam und schenken keine Erleichterung von der klebrigen Waerme. Ich hab jetzt mal ein paar Fragen:

1. Warum sagte der Rezeptionist im Hotel Chandra Park von Chennai, als ich mit der gesamten Gruppe dort mitten in der Nacht ankam, dass meine Gruppe noch am Flughafen sei?
2. Warum traegt niemand ein von Ratten zerfressenes und verschissenes Ecksofa im Hotelflur einfach weg oder wirft es durch das Fenster auf den grossen Muellhaufen, der sich bereits hinter dem Hotel befindet?
3. Warum war der Hotelmanager in Chidambaram so erstaunt, als ich ihm erklaerte, dass sieben Doppelzimmer nicht fuer sechzehn Personen reichen?
4. Warum stehen die beruehmten Chola-Bronzen von Thanjavur in unbeleuchteten Vitrinen?
5. Wie kommt es, dass Inder einen offensichtlich unendlichen Langmut haben, was Dreck und Unordnung, Verschleiss angeht? Oder ist es nur Lethargie, Gleichgueltigkeit, eine grosse Melancholie gegenueber dem Leben?
6. Wieso ist das indische Englisch haeufig so vollkommen unverstaendlich, warum ist es oft so schwer auf eine Frage eine direkte Antwort zu bekommen?
7. Warum sagt der Schaffner im Zug von Chidambaram nach Thanjavur, dass der Zug um 15:30 in Thanjavur ankommt, wenn er eigentlich um 15:15 ankommt?
8. Warum setzen die indischen Maenner eine Wollmuetze auf (oder einen Ohrenschutz, oder wickeln sich ihr Halstuch um den Kopf), sobald die Temperatur am Abend auf ca. 23 Grad sinkt?

Es ist leicht, ueber Indien zu verzweifeln, wenn man mit einer sechzehnkoepfigen Gruppe unterwegs ist und die Verantwortung dafuer hat, dass alles funktioniert.

Aber: In unserem Hotel Valli in Thanjavur sitzt die Reinigungsfrau mit einer Zahnbuerste auf dem Boden und scheuert die Ritzen zwischen den Bodenfliesen. Die Waende werden mit Miniaturpinseln in frischem Hellgruen gestrichen. Im beinahe leeren und immer halbdunklen Restaurant kuemmern sich immer mindestens drei Angestellte um einen.

Abends sitze ich mit einer Flasche Pepsi Cola und einer indischen Zigarette auf der Veranda vor unserem Zimmer, Fuesse auf der Bruestung, verschwitzt vom Tag, irgendwie leer, irgendwie gluecklich.

Unser Tag beginnt auch hier mit Morgenmeditation auf der Veranda, auf roten Plastikstuehlen, zu lautstarker indischer Popmusik von den Metallwerkstaetten vor dem Hotel.

Im Tempel bin ich schnell von einer Gruppe Pilger mit nacktem Oberkoerper und schwarzen Huefttuechern umringt, die sich mit mir fotografieren lassen wollen, die mich bitten, von ihnen ein Foto zu machen und ihnen dann per Mail zu schicken. "Und bitte leg mich als Freund auf deine Facebookseite", sagt der eine, aber ich muss ihm sagen, dass ich leider nicht bei Facebook bin.

Am Abend liegt der Smog als ein dichter Dunst ueber der Stadt, es ist kaum moeglich zu atmen.

Wir trafen heute unser Patenkind Kausalyia. Das letzte Mal haben wir sie vor zwei Jahren gesehen, und seither scheint sie kaum gewachsen zu sein. Sie ist mit einer Sozialarbeiterin vier Stunden mit dem Bus gefahren, um uns zu treffen (obwohl ihr im Bus immer schlecht wird und sie sich auch heute wieder erbrochen hatte), und fuhr nach zwei Stunden wieder denselben Weg zurueck. Ihr Lieblingsfach in der Schule ist immer noch Tamil, sie will immer noch Aerztin werden, und nach zwei Stunden (wir assen zusammen, machten dann einen kleinen Ausflug zum Tempel) sagte sie, dass sie "very jolly" sei und "much enjoy" die zwei Stunden mit uns, obwohl sie zuerst "fear" vor mir hatte und sich nicht mit mir zu sprechen traute. Das alles uebersetzte ihre Begleiterin. Vor dem Tempel waehlte sie ein paar glitzernde Armreife und eine Vogelpfeife als Erinnerungsgeschenke aus, ausserdem hatte sie von uns einen ganzen Beutel voller "nuetzlicher" Geschenke (Zirkel, Lineale, Schreib- und Malbuecher, Farbstifte) bekommen. Aber ueber die Armreife und die Vogelpfeife hat sie sich am meisten gefreut.

Ich lernte heute, dass Shiva 1 008 Namen hat, dass der blauhaeutige Krishna ueber 16 000 Frauen und ueber 100 000 Soehne hatte und der beliebteste Hindugott ist, dass Buddha eine Manifestation von Vishnu ist (aber eine, die ins Verderben fuehrt, ein Versuch der Hindus, den immer populaereren Buddha unschaedlich zu machen und in ihr System zu integrieren).

Im Shivatempel von Thanjavur bekam ich einen weissen Punkt auf die Stirn und wurde mit "long life" bedacht.

Im Vishnutempel von Thanjavur trank ich heiliges Wasser (es schmeckt nach Gewuerznelken) und liess meinen Kopf mit einer Metallhaube bedecken, was hoffentlich auch eine positive Auswirkung auf mein Leben hat.

In Thanjavur steht der drittgroesste Nandi der Welt, eine freundlich aussehende riesige Kuh aus Stein, die das Reittier Shivas darstellt und um das die Pilger herumlaufen.

Morgen fahren wir mit zwei Minibussen zum Shantivanam Ashram noerdlich von Tiruchirapalli. Dort wird es ruhig sein, dort werden wir eine Woche bleiben, dort gibt es kein Internet, dort klingelt nur um 5 Uhr morgens die grosse Glocke, die zur Morgenmesse ruft. Dort werden wir Gemuese schnippeln und tanzen. Darauf freuen wir uns alle.

Mittwoch, 5. Januar 2011

Heute war irgendwie alles zu viel

Nachdem ich heut morgen in einer einstuendigen Behandlung (mit Klangschalen, Kristallen, Wasser) meine Chakras gereinigt gekriegt habe, war mir am Rest des Tages irgendwie alles zu viel. Indien war heute laut, schmutzig, anstrengend, aufdringlich, und ich hatte wenig Widerstandskraft, hab nur die Oberflaeche gesehen.

Hab mich ausserdem in den ersten Tagen etwas zu sehr dem Shopping hingegeben, das entzieht Prana (Lebensenergie, Lebenshauch), wie schliesslich jeder weiss...

Sass lange auf der Dachterrasse und schaute dem Schuster zu, der vor seinem Laden auf dem Boden sass, Leder zuschnitt, Sohlen mit Leim beschmierte. Kaufte spaeter ein Paar Schuhe von ihm, rot und schwarz.

Zum Morgentanz kam eine Affenhorde auf die Terrasse, und die entzueckten Rufe unserer Frauen ermuntert, wurden sie gleich frech, versuchten Wasserflaschen zu oeffnen, in Rucksaecken zu wuehlen. Schliesslich zogen sie ab und warfen in den restlichen Stockwerken des Hotels alle Abfalleimer um, klaubten Bananenschalen heraus, um daran herumzuknabbern.

Fuehlt sich schoen an, hier im AC-gekuehlten Internetcafe zu sitzen, neben einer Touristin ganz in Orange, die eifrig mit den Tasten klappert.

Vor zwanzig Jahren, sagte mein trauriger Chakra-Healer, der seine Kunst von Moenchen im Himalaya gelernt hat, war Mamallapuram ein ganz anderer Ort, es kamen nur Hippies hierher. Heute geht es nur ums Geschaeft.

Was uebrigens das Beste an Indien ist: Ich kriege richtige Korkenzieherlocken, die nach der Ayurvedamassage gestern ausserdem oelig waren und beinahe schwarz aussahen.

Und die tomatenrote Hose, die ich gestern beim Schneider in Auftrag gegeben habe, wurde super.

Dienstag, 4. Januar 2011

Von Punkt Null

Zwei Tage Indien fuhlen sich an wie eine ganze Woche. Oder wie etwas anderes, Zeitloses, nicht Greifbares. In Indien werden die Grenzen fliessender, muss man die Kontrolle sofort lockern, kann man nicht mehr so zwanghaft daran festhalten.

Sitze im Internetcafe und weiss nicht, wo ich anfangen soll.

In der ersten Nacht glaubte meine Zimmergenossin, dass ich tot war und schuettelte mich voller Panik.

In der zweiten Nacht wachte ich auf und wusste weder, wer ich war, noch, wo ich mich befand.

Indien ist in diesen zwei Tagen schon so grosszugig gewesen zu mir. Es ist etwas mit dem Herzen. Es klingt wie ein Klischee, aber es ist wahr, dass Indien (Suedindien?) ein grosses und weiches Herz hat.

Selbst die Herzlichkeit der Ladenbesitzer, die vor ihren Laeden sitzen und einen ansprechen, weil sie sich erhoffen, dass man etwas von ihnen kauft, ist nicht gespielt.

Inder schauen hinter die Fassade und sehen den Menschen.

Im Krankenhaus erzaehlt die kleine Krankenschwester Lallita, auf dem Krankenhausbett sitzend, von ihrem Leben, ihren Eltern, die arme Gelegenheitsarbeiter sind und mit denen sie in einem kleinen Lehmhaus wohnt. "Es ist ein sehr schoenes Haus", sagt sie mit strahlenden Augen und erzaehlt stolz davon, dass sie nach ihrer Arbeit im Krankenhaus in eine Schule geht, um sich weiterzubilden. "I'm a computer expert", verraet sie uns. "Ich weiss nicht, ob ich heiraten soll", sagt sie auch (sie ist zwanzig), "aber Freunde sind sehr wichtig", und findet es schoen, dass ich neben K. sitze und mit ihr darauf warte, dass ihre Laborergebnisse fertig werden.

Wir unterhalten uns im Krankenhauszimmer auch mit zwei Inderinnen, die in Frankreich leben und dort in der Tomatenernte arbeiten. Jetzt sind sie auf Besuch in Indien, und die eine hat sich den Magen verdorben, weil sie das indische Essen (die indischen Hygieneverhaltnisse) nicht mehr vertraegt.

Hoere auf fuer heute, weil die Internet-Stunde rum ist.