Donnerstag, 27. Januar 2011

Zeit verschwindet

Die Zeit verschwindet irgendwie. Die Tage fliessen ineinander.

Wann habe ich was getan? Habe ich ueberhaupt was getan?

Sitze in einem Browsing Center in Kulithalai. Es ist fuerchterlich heiss heute, aber jetzt, zehn vor sechs Uhr abends, ist die Waerme ertraeglich, in etwas mehr als einer Stunde geht die Sonne unter, und dann nehme ich eine Riksha zurueck zum Ashram.

Die schoenste Schuluniform, die mir in Indien begegnet ist, gibt es hier in Kulithalai, an einer reinen Jungsschule. Sie besteht aus rosafarbenen Hosen und rosa-weiss-karierten Hemden. Es begegneten mir heute ein paar Jungs in dieser Kleidung, und ich fragte, ob ich ein Foto von ihnen machen duerfte. Grosses Hallo und Gekichere und "Super!"-Rufe, und bald kamen noch mehr rosa Juenglinge angelaufen, und die ganze Gruppe begleitete mich dann ein Stueck des Wegs, mit den ueblichen Fragen, "How are you?", "Where are you from?", "What's your name?".



In der Frueh um halbsechs, noch im Dunkeln, zum Tea Stall, das ist das neue Tagesritual. Das Dorf ist schon wach, der Tea Stall voller Menschen, der Milchmann faehrt mit seinem Fahrrad durch die Strassen, eine Frau macht wie jeden Tag vor ihrem Haus ein Feuer an, vor dem winzigen Ganesha-Tempel stehen Leute und zuenden Butterlampen an.


Danach an den Fluss Kavery, um den Sonnenaufgang zu betrachten. Ein Mann und eine Frau kommen noch in der Daemmerung mit ihrem kleinen Boot an, das ungefaehr die Form einer Kontaktlinse hat und genau zwei Menschen und ein paar Buendel fasst. Sie haben eine ganze Tuete Fische gefangen und muessen eine Weile an ihrem Moped herummachen, weil es nicht anspringt. Das Musikhandy auf voller Lautstaerke, inmitten dieser Morgenidylle.


Vom anderen Flussufer, einem Ort, der mindestens zwei Kilometer entfernt liegt, kommt laute Morgenmusik, schon von halbfuenf Uhr morgens an.

Fragte Michael heute, als wir nach dem Fruehstueck mit Fahrraedern uebers Land radelten, ob er eine Antwort darauf geben koenne, warum er seit 21 Jahren fuer mehrere Monate hierher kommt. Eigentlich nein, sagte er, aber dann gab er doch eine lange Antwort. There is a god-created hole in me, sagte er, und erklaerte dann, warum er sich hier mit dieser Luecke, dieser Leerstelle, dieser Sehnsucht aufgehoben fuehlt. Er redete auch von seiner Liebe zu diesem Land, Tamil Nadu, das noch von allen indischen Laendern am urspruenglichsten ist. Kann sein, dass ich ein Romantiker mit einer rosafarbene Brille bin, sagt er, aber es gibt hier eine Aufmerksamkeit, eine Freundlichkeit, die mir nirgendwo anders begegnet ist.

Kam an einem Kremationsplatz vorbei, wo kuerzlich ein Koerper verbrannt worden war. Man sah noch die Reste des Feuers, Asche, verstreute Blumen. Nicht weit davon sassen ein paar junge Maenner und spielten Karten. Ein paar hundert Meter weiter ueberholte ich den Leichenkarren, der von ein paar Maennern gezogen wurde.

Michael erzaehlte in der Frueh am Fluss, dass er die Asche seines Vaters hier verstreut hat. Einmal hatte sein Vater ihn hierher begleitet, sich in den Platz verliebt, und dann den Wunsch geaeussert, dass nach seinem Tod seine Asche hier verstreut wird.

Ob das erlaubt ist, frage ich. Man geht natuerlich nicht zum Check-In und sagt, ich habe hier die Asche meines Vaters im Gepaeck, sagt Michael.

In der Tea Time im Ashram rede ich mit W, einem melancholischen Deutschen, der sich gar nicht besonders wohlfuehlt. Es fehlt ihm eine Struktur, deutliche Meditationszeiten, ausserdem kann er nicht besonders gut Englisch. Eigentlich haette ich besser in ein deutsches Haus fahren sollen, sagt er. Ich frage ein wenig und finde heraus, dass er noch kein einziges Mal im Dorf war und auch sonst wenig unternommen hat. Ich sehe ihn immer mit seinen Shorts und seinen weissen duennen Beinen herumlaufen, er sieht verloren und fragend aus.

Die Zeit ist um, ich geh jetzt mal. Noch drei Naechte und drei Tage Indien.







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