Samstag, 8. Januar 2011

Offene Fragen, Indien betreffend

Sitze grade in einem bruetend warmen Internetcafe, in einer kleinen Kabine, ueber mir drehen sich zwei Ventilatoren quaelend langsam und schenken keine Erleichterung von der klebrigen Waerme. Ich hab jetzt mal ein paar Fragen:

1. Warum sagte der Rezeptionist im Hotel Chandra Park von Chennai, als ich mit der gesamten Gruppe dort mitten in der Nacht ankam, dass meine Gruppe noch am Flughafen sei?
2. Warum traegt niemand ein von Ratten zerfressenes und verschissenes Ecksofa im Hotelflur einfach weg oder wirft es durch das Fenster auf den grossen Muellhaufen, der sich bereits hinter dem Hotel befindet?
3. Warum war der Hotelmanager in Chidambaram so erstaunt, als ich ihm erklaerte, dass sieben Doppelzimmer nicht fuer sechzehn Personen reichen?
4. Warum stehen die beruehmten Chola-Bronzen von Thanjavur in unbeleuchteten Vitrinen?
5. Wie kommt es, dass Inder einen offensichtlich unendlichen Langmut haben, was Dreck und Unordnung, Verschleiss angeht? Oder ist es nur Lethargie, Gleichgueltigkeit, eine grosse Melancholie gegenueber dem Leben?
6. Wieso ist das indische Englisch haeufig so vollkommen unverstaendlich, warum ist es oft so schwer auf eine Frage eine direkte Antwort zu bekommen?
7. Warum sagt der Schaffner im Zug von Chidambaram nach Thanjavur, dass der Zug um 15:30 in Thanjavur ankommt, wenn er eigentlich um 15:15 ankommt?
8. Warum setzen die indischen Maenner eine Wollmuetze auf (oder einen Ohrenschutz, oder wickeln sich ihr Halstuch um den Kopf), sobald die Temperatur am Abend auf ca. 23 Grad sinkt?

Es ist leicht, ueber Indien zu verzweifeln, wenn man mit einer sechzehnkoepfigen Gruppe unterwegs ist und die Verantwortung dafuer hat, dass alles funktioniert.

Aber: In unserem Hotel Valli in Thanjavur sitzt die Reinigungsfrau mit einer Zahnbuerste auf dem Boden und scheuert die Ritzen zwischen den Bodenfliesen. Die Waende werden mit Miniaturpinseln in frischem Hellgruen gestrichen. Im beinahe leeren und immer halbdunklen Restaurant kuemmern sich immer mindestens drei Angestellte um einen.

Abends sitze ich mit einer Flasche Pepsi Cola und einer indischen Zigarette auf der Veranda vor unserem Zimmer, Fuesse auf der Bruestung, verschwitzt vom Tag, irgendwie leer, irgendwie gluecklich.

Unser Tag beginnt auch hier mit Morgenmeditation auf der Veranda, auf roten Plastikstuehlen, zu lautstarker indischer Popmusik von den Metallwerkstaetten vor dem Hotel.

Im Tempel bin ich schnell von einer Gruppe Pilger mit nacktem Oberkoerper und schwarzen Huefttuechern umringt, die sich mit mir fotografieren lassen wollen, die mich bitten, von ihnen ein Foto zu machen und ihnen dann per Mail zu schicken. "Und bitte leg mich als Freund auf deine Facebookseite", sagt der eine, aber ich muss ihm sagen, dass ich leider nicht bei Facebook bin.

Am Abend liegt der Smog als ein dichter Dunst ueber der Stadt, es ist kaum moeglich zu atmen.

Wir trafen heute unser Patenkind Kausalyia. Das letzte Mal haben wir sie vor zwei Jahren gesehen, und seither scheint sie kaum gewachsen zu sein. Sie ist mit einer Sozialarbeiterin vier Stunden mit dem Bus gefahren, um uns zu treffen (obwohl ihr im Bus immer schlecht wird und sie sich auch heute wieder erbrochen hatte), und fuhr nach zwei Stunden wieder denselben Weg zurueck. Ihr Lieblingsfach in der Schule ist immer noch Tamil, sie will immer noch Aerztin werden, und nach zwei Stunden (wir assen zusammen, machten dann einen kleinen Ausflug zum Tempel) sagte sie, dass sie "very jolly" sei und "much enjoy" die zwei Stunden mit uns, obwohl sie zuerst "fear" vor mir hatte und sich nicht mit mir zu sprechen traute. Das alles uebersetzte ihre Begleiterin. Vor dem Tempel waehlte sie ein paar glitzernde Armreife und eine Vogelpfeife als Erinnerungsgeschenke aus, ausserdem hatte sie von uns einen ganzen Beutel voller "nuetzlicher" Geschenke (Zirkel, Lineale, Schreib- und Malbuecher, Farbstifte) bekommen. Aber ueber die Armreife und die Vogelpfeife hat sie sich am meisten gefreut.

Ich lernte heute, dass Shiva 1 008 Namen hat, dass der blauhaeutige Krishna ueber 16 000 Frauen und ueber 100 000 Soehne hatte und der beliebteste Hindugott ist, dass Buddha eine Manifestation von Vishnu ist (aber eine, die ins Verderben fuehrt, ein Versuch der Hindus, den immer populaereren Buddha unschaedlich zu machen und in ihr System zu integrieren).

Im Shivatempel von Thanjavur bekam ich einen weissen Punkt auf die Stirn und wurde mit "long life" bedacht.

Im Vishnutempel von Thanjavur trank ich heiliges Wasser (es schmeckt nach Gewuerznelken) und liess meinen Kopf mit einer Metallhaube bedecken, was hoffentlich auch eine positive Auswirkung auf mein Leben hat.

In Thanjavur steht der drittgroesste Nandi der Welt, eine freundlich aussehende riesige Kuh aus Stein, die das Reittier Shivas darstellt und um das die Pilger herumlaufen.

Morgen fahren wir mit zwei Minibussen zum Shantivanam Ashram noerdlich von Tiruchirapalli. Dort wird es ruhig sein, dort werden wir eine Woche bleiben, dort gibt es kein Internet, dort klingelt nur um 5 Uhr morgens die grosse Glocke, die zur Morgenmesse ruft. Dort werden wir Gemuese schnippeln und tanzen. Darauf freuen wir uns alle.

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